Дата: Воскресенье, 06 Октября 2013, 14.38.20 | Сообщение # 1
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DURCHGANGSSTR. IV von Prof. Dr. phil. habil. Siegfried Wolf Auch Strassen haben ihre Schicksale. Sie haben regelrechte Biografien. Viele sind in grauer Vorzeit entstanden. Sie begannen oft im Gehen und Fahren - als Fußwege, wie der Jacobsweg, als Saumpfade - wie die via mala - oder als Karrenspur - wie die via appia oder die via regia. Die Straßen erlebten ihre Hochzeit, manche vergingen im Laufe der Zeit. Manchmal spurlos. Dann verschwinden die Überreste in der Landschaft, dann holt die Natur ihr Territorium zurück. Aber bei weitem nicht bei allen - überraschenderweise bei den wenigsten! Manchmal sind die Trassen nur noch aus der Vogelperspektive zu erkennen. Ganz vergänglich sind sie selten. So findet noch heute der aufmerksame Wanderer zwischen Rhein und Donau Spuren des strategischen Straßennetzes der Römer. Kulturgeschichtlich mag es einen Unterschied geben zwischen den ost- und den westeuropäischen Straßen: War in Westmitteleuropa - abgesehen von unwegsamen Gebirgsregionen - nahezu jeder bewohnte Ort schon im Mittelalter auf einem Wege erreichbar, war dies in Osteuropa oder in Eurasien selbst in der Neuzeit bei weitem noch nicht der Fall. Bedingt durch die riesigen Entfernungen und die dünne Besiedlung gab es eine Vielzahl autonomer Straßennetze ohne überregionale Anbindung. Noch heute gibt es sibirische Großstädte ohne Straßenverbindung zum "großen Land". In den endlosen Waldmassiven Belorußlands oder in den Sumpfgebieten der Polessje verloren sich zahllose Dörfer, Weiler oder Vorwerke verbindungslos in der Fläche. Angesichts dieser Verkehrssituation gewannen die wenigen Fernstraßen eine außerordentliche Bedeutung - ähnlich den späteren Haupteisenbahnlinien. Es scheint so, dass in der Ost-Westrichtung vor allem zwei Verbindungen von Belang waren - die Seidenstraße und die via regia - wenn man vom Pfad absieht, der von Moskau in die sibirische Katorga führte (Es gab zwar am Beginn des 20.Jahrhunderts einige Automobilpioniere, die den Kontinent von Sibirien bis Petersburg durchquerten, aber das war ein Abenteuer und kein Straßenverkehr). Die Fernstraßen waren Zivilisationsschneisen. Nicht nur Waren, sondern auch Menschen und Ideen wurden transportiert. Naturgemäß wuchs die Bedeutung der Überlandstraßen mit ihrer Seltenheit, sodass die Entwicklung ihres Umlandes mehr von ihrer Funktionstüchtigkeit abhing als umgekehrt. Naturgemäß hatte die Fernstraße schon seit der Römerzeit noch eine weitere Hauptfunktion - als militärstrategische Verbindungslinie. Bedingt durch die Wegelosigkeit der Fläche, konzentrierte sich die Aufmerksamkeit der Militärs besonders in Osteuropa auf die wenigen Fernstraßen. Ihr "Besitz" war von strategischer Bedeutung. Besonders für die, die vom Westen in Rußland einfielen. Tartaren und Mongolen brauchten keine Straßen. Der Heerwurm Napoleons jedoch, der sich auf Moskau zubewegte, war auf Straßen angewiesen (was seine Verletzbarkeit steigerte). Die Ukraine war über die Jahrhunderte vor allem Peripherie - des Zarenreiches, der Habsburger Monarchie oder Polens. Die ober- und unterirdischen Reichtümer der Ukraine waren die Objekte der Begehrlichkeit ausländischer Eroberer. Ein Straßensystem von außerordentlicher strategischer Bedeutung war in der Zeit von 1941 bis 1944 die Magistrale, die von Berlin - Lviv über Ternopil, Vinnycja, Dnipropetrovsk, Stalino(Donezk) bis nach Rostov am Don führte - in der Wehrmachtsterminologie "Durchgangsstraße IV", "Rollbahn Süd" oder "Straße der SS" genannt. Identisch mit der via regia dürfte die Steckenführung nur teilweise sein; war doch die Trassenführung vom Frontverlauf abhängig. Dieses StraßenSYSTEM war vor allem für die Heeresgruppe Süd der Wehrmacht von außerordentlicher Bedeutung. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion war die Straße sowohl Panzerrollbahn der Wehrmacht als auch Rückzugsstraße der Roten Armee.So im Sommer 1941 und im Sommer 1942. Danach umgekehrt. In der sowjetischen Kriegsliteratur spielt die Rollbahn eine merkwürdig marginale Rolle. Das scheint darauf zurückzuführen sein, dass die Rote Armee anfänglich vor allem eine infanteristische mit geringer Motorisierung war. Und die Infanterie hat die deckungslose Straße schon deshalb gemieden, weil die Deutschen die Lufthoheit hatten. Und der T34 brauchte nicht unbedingt eine Straße - im Unterschied zum deutschen Panzerlein III, der im Gelände leicht umkippte. Die Durchgangsstraße wurde, ähnlich wie die Haupteisenbahnlinien, rigoros für den Fahrzeugverkehr freigehalten und - so gut es gehen mochte - streng überwacht. Deshalb fanden die anderen vielfältigen Bewegungen meist außerhalb der Trasse statt - so die sowjetischen Kriegsgefangenenkolonnen oder - etwas später - die deutschen. Viele - auch bewaffnete – "Fußgänger", waren deshalb tunlichst bestrebt, die gefährliche Straße zu meiden. So die sowjetischen und die nationlukrainischen Partisanen, in der Westukraine die polnischen Bauern-Selbstschutzbataillone, Verbände der AK oder der AL, jüdische Flüchtlinge, die sich dem Zugriff der SS zu entziehen suchten, polnische Vertriebene auf der Flucht vor ukrainischen Eliminatoren, Deserteuere der Roten Armee, versprengte deutsche oder sowjetische Soldaten, kriminelle Banditen, "fremdvölkische" Kollaborateure auf der Flucht vor SMERSCH (militärischer Nachrichtendienst der Sowjetunion zur Zeit des Zweiten Weltkriegs), zurückgelassene deutsche Spione und Funker,.. und arglose Pilzesucher und Kuhhirten aus der einheimischen Bevölkerung. Durch alle diese Zeitgenossen zog die Straße der SS eine messerscharfe Linie, ratsam war es, diese Linie zu meiden. Diese Straße schied Hüben und Drüben. Musste man die Seiten wechseln, dann nachts und schnell, schnell. Das alles unterschied die Durchgangsstraße IV nicht von anderen Kriegsstraßen im Osten (unter Verwendung von Forschungsergebnissen Tanja Penters und Hermann Kaienburgs). Ein anderes Prädikat jedoch macht die Beispiellosigkeit der Straße aus - ihre Einbeziehung in den Holocaust : Eichmann fasste im Protokoll der Wannseekonferenz am 30.Januar 1942 zusammen, wie die "Endlösung der Judenfrage"im Osten aussehen sollte: "Unter entsprechender Leitung sollen im Zuge der Endlösung der Judenfrage die Juden in geeigneter Weise zum Arbeitseinsatz kommen. In großen Arbeitskolonnen ... werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird". Diese Vernichtungsstrategie wurde auf geradezu paradigmatische Weise an der Straße der SS exekutiert. Diese Pervertierung der Straße dominiert das Andenken an die via regia - nicht Königsweg und Minnesang, sondern an einen Massenmord. Über letztlich insgesamt 1200 Kilometer haben wir es mit einem Tatort und einem Friedhof zu tun. An der Durchgangsstraße IV waren zeitweise 50.000 Juden und Kriegsgefangene eingesetzt, wobei der relative Anteil der Kriegsgefangenen nach "Verbrauch" nicht ersetzt werden konnte - inzwischen gerieten die Deutschen selbst massenhaft in Kriegsgefangenschaft. Für die Juden wurde die Straße zum Experimentierfeld der "Endlösung", es galt die "Vernichtung durch Arbeit". So meinte der Höhere Polizei-und SS-Führer Galizien, Fritz Katzmann, es sei völlig gleichgültig, ob auf jedem Kilometer tausend oder zehntausend Juden bleiben. Arbeitsunfähige oder Kranke wurden sofort erschossen. Auf diese Weise lag die durchschnittliche Lebensdauer eines jüdischen Zwangsarbeiters zwischen drei und sechs Monaten. Den Befehl zum Bau der Durchgangsstraße IV erließ Heinrich Himmler im Februar 1942. Schon vorher waren allerdings an der "Rollbahn" jüdische Zwangsarbeiter eingesetzt - immer der Ostverschiebung der Front folgend. Bis Mitte Oktober waren an der Teilstrecke Przemysl bis Tarnopol sechs jüdische Zwangsarbeitslager eingerichtet, die nicht der Zivilverwaltung, sondern dem Stab der SS direkt unterstanden. Bis zur Jahreswende 1941/42 kamen noch weitere sechs Lager hinzu. Insgesamt konnten allein in der Ukraine ungefähr zwanzig derartige Lager nachgewiesen werden Dazu kommen noch die galizischen. Jedes Lager umfasste ungefähr 600 Zwangsarbeiter. Sie befanden sich in der Nähe der Trasse und von Steinbrüchen, in denen Straßenmaterial gebrochen wurde. Die - von Katzmann erwünschte - Sterblichkeit war außerordentlich hoch. Sandkühler gelangte zu der Berechnung, dass die Mortalität in den Zwangsarbeitslagern Galiziens wesentlich höher lag als in den "offiziellen" Konzentrationslagern. Im Unterschied zu dem versiegenden Nachschub an sowjetischen Kriegsgefangenen war an jüdischen Zwangsarbeitern kein Mangel. Waren sie aufgebraucht, wurden sie ersetzt - aus dem Territorium, aber auch aus Transnistrien, oder gar aus dem "Altreich". Die Arbeitslager "wanderten" - war ein Streckenabschnitt fertiggestellt, wurde das entsprechende Lager aufgelöst und jüdische Arbeitskräfte aus dem Umfeld des neuen Standortes zugeführt. Wie generell der Holocaust war auch die Vernichtung durch Arbeit an jener Straße ein internationales Gemeinschaftswerk der Antisemiten unter deutscher Führung. "Fremdvölkische""Schutzmanschaften" aus ukrainischen, baltischen , kosakischen und kaukasischen Kollaborateuren bewachten die Zwansgarbeiter. Die übichen Gewaltorgien jener Büttel sind auch hier zu finden. Wie im Dritten Reich üblich, gab es auch bei der Führung der Zwangsarbeit ein ziemliches administratives Durcheinander - bedingt durch die unterschiedlichen Interessen der verschiedenen "Bauträger". Aus den verfügbaren Quellen lässt sich schließen, dass die SS die Gesamtleitung des Projektes nicht aus der Hand gab - war doch damit die Intension der Architekten der "Endlösung" unmittelbar verbunden. Mit diesem Ziel wurde vom HSSPF (Höhere SS- und Polizeiführer) Ukraine und Rußland- Süd ein Sonderstab eingerichtet mit Sitz in Dnepropetrowsk Ihm unterstellt waren in Winniza, Kirowograd, Kriwoi-Rog und Stalino vier Oberbauleitungen. Die fachliche und technische Abwicklung hingegen wurde in die Hände der Organisation Todt gelegt. Die Oberbauabschnittsleitungen der OT befanden sich in denselben Orten wie die der SS. Es liegt auf der Hand, dass bald die üblichen Kompetenzstreitigkeiten zwischen den beiden Leitungsebenen eintreten mussten - was die Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter weiter verschärfte. Mit der OT gewinnt das Vernichtungsprojekt eine neue, gleichsam zivile Dimension. Die Führer der OT waren in der Regel technisches Fachpersonal für Hoch-, Tief- und Brückenbau.Aber die Intension der SS reichte noch tiefer in den Arbeitsalltag der Deutschen: Private Bauunternehmungen aus dem Reich wurden mit der Bauabwicklung der Projekte beauftragt. Da ergibt sich natürlich der interessante Nebenaspekt des Problems, wie die Firmen, so sie noch existieren,mit diesem IHREM Erbe heute umgehen.Obwohl bislang nur wenig Dokumente aus jener Zeit auf uns gekommen sind, konnte Kaienburg eine Anzahl jener Baufirmen identifizieren. Nur einige seien genannt: Dohrmann (Remagen), Teeras (München), Fix (Bad Neunahr), Stöhr KG (München), Horst&Jüssen (Sinzig/Rhein)...